Technik-Ecke B15 vom 30. April 2004

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Simulation von xDSL-Systemen

Einleitung

Mit der Simulation von xDSL-Systemen ist es möglich, auf theoretischem Weg Untersuchungen zur Reichweite, zur maximalen Datenrate und zur Störbeeinflussbarkeit der einzelnen Übertragungstechniken vorzunehmen. Zwar ist nur eine Abstraktion des tatsächlichen Verhaltens realisierbar, trotzdem hat man anhand der Simulationsergebnisse die Möglichkeit, wichtige Erkenntnisse zu erlangen – zum Beispiel wenn sich die Technologie noch in der Entwicklung befindet oder wenn es um Vorabschätzungen der Realisierbarkeit von xDSL-Diensten geht. Der Vorteil der Simulation ist, dass man schnell und einfach Leitungsgegebenheiten und die Einflüsse damit zusammenhängender Komponenten sehr kostengünstig modellieren kann.

Seit einiger Zeit stellen verschiedene Unternehmen Simulatoren zur Berechnung der Systemparameter von xDSL-Systemen im Internet zur freien Verfügung beziehungsweise zum Download bereit. Diese sollen an dieser Stelle kurz vorgestellt werden.

 

Das FTW-Simulationstool

1998 diskutierte die FSAN-Initiative über die Entwicklung eines Simulationstools, das unterschiedliche Netztopologien, Duplex-Strategien, Spektrumpläne und Rauschmodelle kalkulieren sollte. Diese Entwicklung stellte sich als sehr schwierig und langatmig heraus. Es entstand eine erste Version des FSAN-Simulators, die später (in Version 2) durch eine grafische Benutzeroberfläche für VDSL sowie mit Beispielen für PBO (power back off) und verschiedenen Diensten (Mixed Services) erweitert wurde.

Anfang 2000 übernahm das FTW (Forschungszentrum für Telekommunikation Wien) die Weiterentwicklung des Simulationstools. In der Version 2.2 wurden die umfangreichen S(H)DSL-Definitionen sowie S(H)DSL-Beispiele hinzugefügt, die Version 2.3. beinhaltete zusätzlich die ADSL-Definitionen. In der vorletzten veröffentlichten Version 2.3.2 (Stand Ende 2002) aktualisierte man alle Definitionen nach den Standards. Mittlerweile kann man die Version 3.061 unter http://xdsl.ftw.at herunterladen.

Da dieses Programm nur eine grafische Benutzeroberfläche für VDSL besitzt, alle anderen Programme jedoch in ihrem Quellcode vorhanden sind, werden zur Nutzung des Simulators gute (bis sehr gute) MATLAB-Kenntnisse vorausgesetzt. Selbst dann benötigen Anwender noch eine Einarbeitungszeit von zwei bis drei Wochen, bevor sie gegebenenfalls auch eigene Simulationsprogramme schreiben können. Das Problem der grafischen Benutzeroberflächen ist, dass mit diesen nur vorgegebene Szenarien simuliert werden können, da die Parameterauswahl sehr eingeschränkt ist. Würde man eine grafische Benutzeroberfläche entwickeln, in der alle Parameter einstellbar beziehungsweise veränderbar sind, wäre diese so komplex, dass der Programmieraufwand in keiner vernünftigen Relation zur erzielten Erleichterung steht.

[B15.1]Aus diesem Grund hat das FTW auf eine Benutzeroberfläche für S(H)DSL und ADSL verzichtet, man hat also eine fast unerschöpfliche Vielzahl an Variationsmöglichkeiten der Parameter. Als Beispiel wurde in Bild B 15.1 ein S(H)DSL-Simulationsergebnis herausgegriffen, welches die maximal mögliche Bitrate in Abhängigkeit von der Leitungslänge eines PE-Kabels mit 0,4 mm Aderdurchmesser bei unterschiedlicher Selbststöreranzahl darstellt.

 

 

Bild B 15.1: Simulationsergebnis des FTW-Simulators für0,4 mm PE-Kabel

Der Spectral Compatibility Computer

Dieser Simulator wird von der Firma Telcordia Technology, Inc. zur Verfügung gestellt und dient der Simulation von VDSL, ADSL, Single Carrier und PBO. Mit beantragtem Nutzernamen und dazugehörigem Passwort erhält man Zugriff auf das Simulationstool unter http://net3.agreenhouse.com:8080/dsl-test. Mit diesem Tool ist es möglich, xDSL-Systeme und Nebensprechen mit anderen Systemen zu untersuchen. Des Weiteren können die Berechnungen helfen, die spektrale Kompatibilität aller Basissysteme wie zum Beispiel ADSL, G.lite, S(H)DSL, ISDN, HDSL oder HDSL2 festzustellen. Das Tool besitzt eine grafische Benutzeroberfläche, die relativ schnell erfolgreiche Simulationen ermöglicht. Sinnvoll ist es allerdings, vor der Verwendung des Simulators das „White Paper“ zu lesen, weil dort zum Beispiel die im Tool genutzten SM (Spectrum Management)-Klassen definiert sind.

 

Der Pulsecom-Simulator

Dieses Simulationstool ist eine Online-Applikation, die zur Berechnung von Aufwärts- und Abwärts- Bitraten der ADSL-Technologie dient. Es sollten auch noch Modelle für G.lite, HDSL und ISDN folgen. Leider wird dieses Tool aber von Pulsecom nicht mehr angeboten. Das Tool besitzt eine Benutzeroberfläche, die Simulationen ohne große Vorkenntnisse möglich macht. Ein Nachteil ist allerdings, dass man nur die amerikanischen Kabeltypen benutzen kann.

 

Der ADTRAN-Simulator „DSL Assistent“

Der ADTRAN-Simulator dient zur Simulation von HDSL, HDSL2, HDSL4, ISDN, Total Reach ISDN, IDSL, 2-Wire Total Reach DSS (Digital Signature Standard) und 4-Wire DSS (mit zahlreichen Unterfunktionen) und berechnet für diese Technologien die mögliche Störreserve. Zurzeit stellt man die Simulatorversion 4.2.9 unter http://www.adtran.com leider nur für Kunden zur Verfügung. Dieses Tool ist von seinem Aufbau her etwas anders als die oben beschriebenen Simulatoren. Um mit dem „ADTRAN-Assistant“ eine Simulation zu erstellen, hat man zwei Möglichkeiten: Zum einen kann man dies über den grafischen Eingabemodus (Standardeinstellung), zum anderen über eine skriptbasierte Simulation bewerkstelligen. Der ADTRAN-Simulator hat den Vorteil, dass Anwender eigene HDSL-Leitungsstrukturen durch den grafischen Eingabemodus besser nachvollziehen können. Wenn sie aber die Thematik tiefer betrachten wollen, stoßen sie schnell an Grenzen. So stellt beispielsweise das Simulationstool keine Parameter für Störereinstellungen bereit.

 

Das „DSL Tool“

[B15.1]Der von Level One bereitgestellte Simulator wurde entwickelt, um die Störreserve eines definierten DSL-Systems auszuwerten. Das „DSL Tool“ (Version 1.0.3) stellt eine Hilfestellung für den Entwurf von Level One basierenden MDSL- und HDSL- Systemen dar. Der Simulator wird aber mittlerweile nicht mehr zur Verfügung gestellt. Dieses Simulationstool kann zwar keine Grafik der Leitungsnachbildung erstellen, ermöglicht aber im Gegensatz zu ADTRAN eine HDSL-Simulation mit verschiedenen Störern. Bei Verwendung von PCs mit deutschem Windows-Betriebssystem tritt allerdings ein Fehler auf: Das Dezimalkomma in der Ergebnisanzeige fehlt.

Bild B 15.2: Vergleich der ADSL-Simulatoren mit einem realen System

Zusammenfassung

Abschließend kann man sagen, dass alle hier genannten Simulatoren Vor- und Nachteile haben. Was bei einem Simulationstool als positiv bewertet werden kann, ist meist bei einem anderen Tool, welches die gleichen Simulationssysteme auswertet, weniger oder gar nicht berücksichtigt worden. Letztendlich muss jeder für sich entscheiden, welche Simulationsergebnisse ihm am brauchbarsten und sinnvollsten erscheinen. Schließlich sind auch die Simulationsergebnisse nicht immer identisch. Ein Beispiel hierfür zeigt Bild B 15.2. Hier ist die Abhängigkeit der maximal möglichen Bitrate von der Leitungslänge bei einem ADSL- System mit AWG26-Kabel ohne Störer mit verschiedenen Simulatoren im Vergleich zu einem realen ADSL-System dargestellt.

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Dr. Andreas Bluschke

Andreas Bluschke erhielt seine Dipl.-Ing.- und Dr.-Ing.-Titel 1982 bzw. 1986 vom Leningrader Elektrotechnischen M.A. Bontsch-Brujewitsch-Institut für Fernmeldewesen (LEIS) , UdSSR. Er ist Mitbegründer der Teleconnect GmbH in Dresden und war von 1990 bis 2018 einer der Geschäftsführer der Teleconnect GmbH, wo er insbesondere für F&E-Aktivitäten verantwortlich war. Als erfahrener Projektleiter war er in den Bereichen PDH, SDH, ISDN, ATM, xDSL und optische Zugangs- und Hausnetze tätig. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher und Zeitschriftenartikel zu den Themen Leitungskodierung, xDSL, optische Kommunikation und Zugangsnetze. Nach der Akquisition des LiFi-Geschäfts des unter Beteiligung der Teleconnect GmbH gegründeten Joint Ventures Firefly Wireless Networks durch Philips Lighting (heute Signify) ist er 2019 als Systemarchitekt nach Eindhoven, Niederlande, gewechselt. Während seiner beruflichen Laufbahn hat er eine Vielzahl von Patentanmeldungen getätigt.

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